Künstliche Intelligenz in bankinternen KYC-Prozessen
Künstliche Intelligenz (KI) gilt heute als globaler Megatrend und verspricht effizientere Lösungen für beinahe alle Lebens- und Wirtschaftsbereiche – die Technologie steckt allerdings noch in den Anfängen. Die Frage, ob Finanzinstitute künftig von KI-basierten, automatisierten Know-your-Customer(KYC)-Prozessen profitieren, bedarf daher einer sorgfältigen Analyse.
Künstliche Intelligenz ist zu einem Dauerthema in den Medien geworden. Ziel der KI-Forscher ist es, teure menschliche Arbeit zu ersetzen, gleichzeitig aber den Wert einer menschlichen Intelligenzentscheidung zu bewahren – ein zentrales Element der KI ist das induktive Lernen. Ihre Anwendung in der Finanzwelt – u. a. zur Kostenreduktion und Beschleunigung von KYC-Verfahren bei Banken – hat bereits begonnen, allerdings weicht sie gegenwärtig noch von den Erwartungen ab, da weiterhin menschliches Handeln erforderlich ist. Der Weg zu den durchschlagenden Erfolgen ist also noch weit.
Da insbesondere im Zahlungsverkehr immer strengere rechtliche Anforderungen an (Neu-)Kunden gestellt werden – die Standards und Sorgfaltspflichten sollen dabei vor allem Geldwäscherei, organisierte Kriminalität und Terrorismusfinanzierung vorbeugen –, steht für Finanzinstitute die Anwendung von KI u. a. im Rahmen der Anti-Money-Laundering(AML)-Prozesse im Zentrum des Interesses. Die Erstellung und Analyse von Risikoprofilen bedingt aktuell einen erheblichen Rechercheaufwand sowie den Einsatz teurer KYC-Dienstleister. Zudem dauert die Durchführung AML-basierter Hintergrundprüfungen Tage, wenn nicht gar Wochen, und neue Richtlinien wie die fünfte Geldwäscherichtlinie sind bereits in Sicht. KI-basierte Verfahren versprechen hier ein signifikantes Optimierungspotenzial.
Der Charakter der künstlichen Intelligenz
Derzeit existiert noch keine eindeutige Definition von Künstlicher Intelligenz. Während IT-Experten früher das Verhalten komplexer Systeme programmiert haben, erweist sich momentan das maschinelle Lernen auf Basis von Big Data in vielen Einzelbereichen als überlegen. Computer werden dabei mit grossen Datenmengen «gefüttert», damit sie lernen können, Vorhersagen über neue, unbekannte Daten und Szenarien zu treffen sowie Problemstellungen zu analysieren. Mit anderen Worten, Computer sind immer mehr in der Lage, Aufgaben so auszuführen, wie sie der Mensch auf Basis seiner Intelligenz ausführen würde. Im Gegensatz zu konventionellen Herangehensweisen werden hier keine zuvor festgelegten Regeln definiert, sondern das System lernt, durch die Analyse von vorgegebenen Daten bestimmte Muster selbstständig zu erkennen.
Unterscheiden lässt sich dabei zwischen einer schwachen und einer starken KI. Erstere ist an sich keine neue Erfindung und findet in der Finanzbranche bereits Anwendung im Robo-Advisory-Geschäft, bei digitalen Assistenzdiensten, für das Internet of Things (IoT), bei Bildbearbeitungen, im Gaming sowie beim autonomen Fahren. Die schwache KI ist auf eine bestimmte Aufgabe spezialisiert, die sie unendlich wiederholt und dabei ihre Effizienz und Effektivität so weit wie möglich optimiert – eine ausgebildete und multitaskingfähige menschliche Arbeitskraft kann sie damit nicht ersetzen. Eine starke KI-Anwendung weist demgegenüber deutlich mehr Möglichkeiten einer autonomen Weiterentwicklung auf – ein Beispiel wäre das Cognitive Banking, welches eine selbstlernende, alle Umweltfaktoren berücksichtigende und humansprachliche Plattform beschreibt, die für Kunden und Banken in Echtzeit optimale Szenarien entwickelt. Trotz aller Bemühungen und Investitionen liegt deren Marktreife noch in ferner Zukunft.
Maschinelle Lernverfahren lassen sich zudem anhand verschiedener Dimensionen charakterisieren – wichtigste Grundlagen bilden Lernaufgabe und Datentypus (z. B. für Text, Sprache und Bilder) sowie Algorithmus und Modellklasse (z. B. Deep Learning als eine momentan sehr beliebte Algorithmenklasse). Hinsichtlich Lernaufgabe und Datentypus existieren drei zentrale Methoden: Beim überwachten Lernen verfügt die Datenbank über eine grosse Anzahl zugeordneter Daten, die dem System bei der Entscheidungsfindung eine Hilfestellung bieten. Resultate werden umgehend korrigiert, bis das System in der Lage ist, Daten selbstständig korrekt zu klassifizieren – Ziel ist hier die Verallgemeinerung des gelernten Wissens und seine Anwendung auf neue Datensätze. Beim unüberwachten Lernen hingegen werden intrinsische Muster aus den vorgegebenen Daten extrahiert. Eine Fragestellung, die sich in ein konkretes Zielmerkmal kodieren lässt, ist nicht notwendig. Wichtige Lernaufgaben sind hier Clustering und Anomalieerkennung. Das bestärkende Lernen wiederum basiert auf gelegentlichem Feedback in Form einer Belohnung, die von der erreichten Situation oder der Optimierung durch frei wählbare Aktionen anhand des Computers abhängig ist. Das erwähnte Deep Learning im Bereich Algorithmus und Modelklasse hingegen beruht auf der Nachbildung tiefer neuronaler Netzwerke, welche Hunderte von Schichten und Milliarden von zu lernenden Parametern enthalten – hier wird versucht, biologische Abläufe des Gehirns durch mathematische Strukturen zu reproduzieren. Nachteile dieses Verfahrens sind die Voraussetzung einer sehr grossen Datenmenge sowie die – mögliche – mangelhafte Qualität der Inputdaten.
Anwendung von KI bei bankinternen KYC-Prozessen
Banken stehen bei ihren KYC-Prozessen meist vor der Herausforderung, schnell einen korrekten und vollständigen Ablauf sicherzustellen und dabei auch den Zeit- und Kostenfaktor zu berücksichtigen. Eine softwarebasierte Vollautomatisierung über alle Prozessschritte hinweg, die auch noch zuverlässig ist und den Personalaufwand reduziert, ist hier das angestrebte Ziel, welches eine KI – irgendwann – leisten könnte. Die nachfolgenden Abschnitte beleuchten deren wichtigste Anwendungsbereiche.
Erstellung von Kundenrisikoprofilen
KI-Systeme könnten zur Geldwäschereibekämpfung riesige Datenmengen nach risikorelevanten Fakten durchsuchen, was die Identifizierung von Kunden mit hohem Risiko zunächst vereinfacht. Potenzielle Schwachstellen liegen darin, dass eine KI bestimmte Daten nicht berücksichtigt, über- und unterbewertet oder falsch interpretiert. Dies kann nicht nur zu falschen Auswertungen und damit zu falschen Risikoprofilen führen, sondern auch rechtliche und soziale Konsequenzen nach sich ziehen, z. B. wenn dem Kunden der Zugriff auf bestimmte Services verwehrt wird. Beim Einsatz der KI zur Erstellung von Kundenrisikoprofilen ist somit Vorsicht anzuraten.
Identitätsfeststellung
Im Zuge der Identitätsfeststellung könnte eine KI das Verifikationsdokument anhand festgelegter Merkmale in Sekunden überprüfen, indem z. B. ID-Nummern, Pixel oder Gesichter verglichen und kontrolliert werden. Allerdings treten bei diesen Szenarien – abgesehen vom Idealfall – noch erhebliche Schwächen auf. Weicht die Bildkomposition etwa von den Trainingsdaten ab, hat eine KI Schwierigkeiten mit der Erkennung. Hinzu kommen benutzerseitige technische Hürden wie alte Geräte mit mangelnder Auflösung, Verbindungs- bzw. Uploadprobleme sowie betrügerische Handlungen, was zu weiteren Lücken in der KI-basierten Identitätsfeststellung führt. Die Lösung ist in diesen Fällen nach wie vor die manuelle Überprüfung, was einen höheren Zeit- und Kostenaufwand nach sich zieht.
Screening und Untersuchungen
Aus Statistiken ergibt sich, dass rund die Hälfte der Warnungen, die bei AML-Screenings und Untersuchungen von Transaktionen generiert werden, Fehlalarme sind. Die Ursachen hierfür sind ungenaue Kundensegmentierung und mangelnde Parametrisierung. Zur Reduktion der Fehlalarmrate setzen Banken vermehrt auf KI-basierte Systeme und Regressionsanalysen, welche sich als robuster und intelligenter erweisen. Konventionelle Software hingegen ist nicht in der Lage, bereits bearbeitete Alarme zu erkennen, sondern muss diese wiederholt prüfen. Hier ist also die selbstlernende KI im Vorteil.
Anpassungen aufgrund gesetzlicher Änderungen
Ein weiterer vielversprechender Anwendungsbereich für KI ist die automatisierte Analyse sich ändernder regulatorischer Vorgaben zur direkten Entlastung der Compliance-Abteilung – nicht zuletzt deswegen, weil wachsende Regelwerke und unverzügliche Meldepflichten einen enormen Druck aufbauen. Die KI könnte hier noch einen Schritt weitergehen und neue Gesetze zusätzlich auf deren Relevanz, Auslegung und Auswirkung untersuchen. Dabei werden neue oder abgeänderte Vorschriften identifiziert, ihre eventuelle Anwendbarkeit überprüft, Auswirkungen auf interne Strukturen analysiert und entsprechende notwendige Anpassungen vorgenommen.
Automatisierung und Management von Onboardingdokumenten
Oft veralten die Datenbestände von Unternehmen mit der Zeit, ohne aktualisiert zu werden, oder sie sind von Anfang an falsch angelegt – eine KI könnte die Datenqualität evaluieren und optimieren, z. B. auf Basis selbstlernender Qualitätskontrollen. Solche vollautomatisierten Kontrollen sortieren und markieren sämtliche Unterlagen und präsentieren das Ergebnis in einem zentralen KYC-Format, woraus ein beschleunigter und präziserer Onboardingprozess resultiert, welcher im Anschluss dem Berichtswesen zugutekommt.
Vom Wunsch zur Realität
Ideen und Anwendungsbereiche für KI sind ein weites Feld, und für Banken steht die intelligente Automatisierung von Prozessen hier klar im Fokus. Doch auch wenn Investitionen in diese neue innovative Technologie über die nächsten Jahre hinweg weiter zunehmen werden, steht die Technik vielfach noch am Anfang. Hinzu kommen rechtliche Hürden sowie Implementierungsschwierigkeiten auf der Anwenderseite.
Zudem ist die Nutzung von KI für die KYC-Prozessen der Banken nur in bestimmten Segmenten des Gesamtverfahrens zu empfehlen – Benchmarks bestehen hier allerdings noch keine, was die Akzeptanz und Nutzung solcher Lösungen weiter erschwert. Vor dem Investitionsentscheid stehen daher eingehende Analysen der eigenen Strukturen und Potenziale, damit in der Zukunft die richtigen Technologien angewandt werden können – die oben genannten Anwendungsfälle sind dabei nur ein erster Schritt.
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